Der Kunstverein Freiburg freut sich, in „Durchsichtige Dinge“ Werke von sechs internationalen Künstlerinnen und Künstlern zu präsentieren.
Damit wird das Vorhaben verfolgt, im Ausstellungsprogramm einmal jährlich eine bestehende Tendenz der Gegenwartskunst zu behandeln. Die Gruppenausstellung zeigt, wie zeitgenössische Kunstwerke Gewicht und Wert und sogar den Raum, den sie einnehmen, auslöschen können. Das geschieht dadurch, dass die Aufmerksamkeit des Betrachters weggelenkt wird von der Materialität des Kunstwerks hin auf die Illusion, die sie schafft.
Ein Karton in Standardgröße lehnt an der Wand. Im ersten Augenblick sieht es so aus, als wäre Verpackungsmaterial beim Aufbau vergessen worden. Bei näherem Hinsehen bemerkt man aber, dass man tatsächlich vor einem Kunstwerk, einem Bleiguss mit bemalter Oberfläche, steht. Ugo Rondinone (*1964, CH) hat eine täuschend echte Illusion geschaffen, zudem scheint kaum ein Gegenstand in einer Ausstellung geeigneter als ein Symbol für Kunstproduktion zu sein. Darüber hinaus geht das Objekt ein Doppelspiel mit der Ökonomie ein; zu einem gewissen Grad entkommt es dem Kunstsystem, da es nicht sofort als Kunstwerk und wertvolles Produkt erkannt wird. Ein solcher Standardkarton ist leicht und fast wertlos. Wie eine Geste scheint sich diese Art von Kunst dem System zu entziehen und verbleibt doch ein Teil davon.
Die Gruppenausstellung widmet sich einer Tendenz in der aktuellen Kunst, in der die Bedeutung von Illusion eine Neuinterpretation erfährt. Zudem beschäftigt sie sich mit der Kunstproduktion, zu deren System sie einen ? wenngleich verschleierten ? doch kritischen Standpunkt einnimmt. Das Verhältnis der Künstlerinnen und Künstler zur Kunstproduktion erweist sich heute als weniger idealistisch als im frühen Konzeptualismus Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre, als der Versuch unternommen wurde, das Objekt und so das Kunstwerk zu entmaterialisieren und dadurch quasi unverkäuflich zu machen. In der aktuellen Kunst bleibt das Objekt erhalten und der künstlerische Standpunkt ambivalent, oder besser gesagt realistisch: Obwohl sich das Objekt rhetorisch verleugnet, bleibt es ein potentiell verkäufliches dreidimensionales Kunstwerk. Der französische Theoretiker Pierre Bourdieu beschreibt das treffend damit, dass ?die Kunst mit der Ökonomie nichts zu tun haben will, während sie von dem ökonomischen Interesse umworben wird.?
Eine der Methoden der illusionistischen Mittel ist das Trompe l??il, in der die Kunstfertigkeit möglichst so perfekt ist, dass die Arbeit als solche unsichtbar bleibt. Das klassische Beispiel dafür ist der antike Maler Zeuxis, der Weintrauben so naturgetreu in seinen Gemälden wiedergegeben haben soll, dass Vögel herbeiflogen, um an ihnen zu picken. Weiter sind es der visuelle Wortwitz und das Surrogat-Objekt, das für etwas anderes steht, welche die Künstler in der Ausstellung für die Illusion verwenden. Wenn Ugo Rondinone unser Auge täuscht, ersetzt Ariel Schlesinger (* 1980, IL) die Illusion einer förmlichen Krawatte mit einer alten und getragenen Socke, während Sharon Lockhart (* 1964, US) eine Brotschachtel an Stelle ihres Besitzers porträtiert.
David Musgrave (*1973, GB) beweist die große illusionistische Fähigkeit, ein schweres Aquarellpapier als ein bekritzeltes und gefaltetes dünnes Blatt Papier wiederzugeben, das aussieht, als solle es nur noch weggeworfen werden. Die gefaltete Alufolie als Motiv der Gemälde von William Daniels (* 1976, GB) ist das Symbol reiner Illusion für Material. Die Betrachtung pendelt zwischen Durchsichtigkeit und materieller Oberfläche, zwischen Objekt und Dematerialisierung. Die komplexen Konstruktionen von Sabine Hornigs (*1964, D) neuen Skulpturen sind von Rahmen mit transparentem Gewebe umgeben, auf dem ein schwacher Abdruck von Stadtansichten zu sehen ist, welche die architektonische Materialität nur noch erahnen lassen. Sharon Lockharts Fotoserie von Brotschachteln ist ergänzend zu einem Film entstanden, in dem sie Werftarbeiter während ihrer Mittagspause aufgenommen hatte. Die individuellen ?Lunch Boxes? zeigen Spuren der Geschichten und Personen, denen sie gehören. Als doppelte Illusionen sind die Werke beides: fotografische Bilder von jeweils einem Objekt, das an sich ein Zeichen für etwas Abwesendes ist. Wir Betrachter sind gefangen zwischen diesen sukzessiven Bedeutungsverschiebungen, wodurch uns der feste Boden unter unseren Füßen entzogen wird.
Mit Ugo Rondinone zeigt der Kunstverein Freiburg die Arbeit eines der bekanntesten zeitgenössischen Schweizer Kunstschaffenden. Während Institutionen weltweit ihm große Ausstellungen gewidmet haben ? Einzelausstellungen u.a. 2007 im New Museum of Contemporary Art, New York; 2003 im Centre Georges Pompidou, Paris; war zuletzt 2010 im Aargauer Kunsthaus eine umfassende Auswahl von Werken zu sehen. Rondinone hat an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien studiert. Arbeiten von William Daniels wurden nach seinem Abschluss 2003 am Royal College of Art zuletzt 2010 bei Saatchi Gallery, London, Galleria d?Arte Moderna, Turin gezeigt. Sabine Hornig studierte an der Hochschule der Künste Berlin, bis 2003 hatte sie eine Gastprofessur an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe inne. Werke von ihr wurden 2006 in einer Einzelausstellung in der Berlinischen Galerie gezeigt; in Gruppenausstellungen 2009 im Kunstmuseum Wolfsburg, MoMA New York; 2007 in der Kestner Gesellschaft Hannover; 2006 in der Neuen Nationalgalerie, Berlin, Art Unlimited, Basel. Sharon Lockhart studierte am San Francisco Art Institute, 2008 waren Arbeiten von ihr in einer Einzelausstellung im Kunstverein Hamburg zu sehen; in Gruppenausstellungen 2010 in der Temporären Kunsthalle Berlin; 2009 im MOCA, Los Angeles, Whitney Museum of American Art, New York. Nach seinem Studium am Chelsea College of Art and Design wurden Arbeiten von David Musgrave 2003 in einer Einzelausstellung in der Tate Britain, London gezeigt; in Gruppenausstellungen 2007 in der Hayward Gallery, London. Ariel Schlesinger hat an der Akademie für Kunst und Design Jerusalem und an der School of Visual Arts in New York studiert, Werke von ihm wurden 2010 im Museum Tinguely, Basel (Ausstellung 2011 im Swiss Institute, New York) und De Appel, Amsterdam; 2009 in der Temporären Kunsthalle Berlin gezeigt.
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