Ein Artikel von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin und Essen, und Maximilian Renger, wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Arbeitnehmer oder Bewerber, die an einer chronischen Krankheit leiden, stehen häufig vor der Frage, ob sie den Arbeitgeber darüber informieren sollten oder nicht. Wie sind Arbeitnehmer mit Diabetes, Herz-Kreislauf- oder sonstigen Erkrankungen vor Kündigungen geschützt? Dürfen chronisch kranke Bewerber den Arbeitgeber anlügen?
Lügen bei entsprechender Frage des Arbeitgebers erlaubt:
Chronisch Kranke müssen dem Arbeitgeber ihre Erkrankung nicht mitteilen. Fragt der Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch allgemein nach einer solchen Krankheit, ist das unzulässig. Bewerber dürfen dann lügen. Eine spätere Anfechtung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ist zudem ausgeschlossen. Ein Fragerecht besteht für ihn nur, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beantwortung hat. Das kann dann der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung gar nicht erbringen kann oder wenn etwa wegen einer Ansteckungsgefahr ein Gesundheitsrisiko für Kollegen oder Dritte besteht.
Arbeitsrechtlicher Schutz:
Das Arbeitsrecht sieht einen besonderen Kündigungsschutz sowie zusätzlichen Urlaub für Schwerbehinderte vor. Für die wirksame Kündigung eines Schwerbehinderten ist demnach die Zustimmung des Integrationsbeauftragten erforderlich. Das AGG verbietet zudem eine Benachteiligung von Behinderten im Berufsleben und gilt demnach nicht nur für Schwerbehinderte. Eine Behinderung wird auf einer Skala bis 100 in Zehnerschritten bestimmt und liegt vor ab einem Grad von 20, eine Schwerbehinderung ab einem Behinderungsgrad von 50.
Abgrenzung von chronischer Krankheit und Behinderung:
Problematisch ist immer wieder die Abgrenzung zwischen einer chronischen Krankheit und einer Behinderung. Das AGG knüpft nämlich im Hinblick auf seine Diskriminierungsgründe nicht an erstere an. Damit wären chronisch erkrankte Arbeitnehmer im Hinblick auf Kündigungen grundsätzlich ungeschützt. Die Rechtsprechung hat dem allerdings entgegen gewirkt: Insbesondere der EuGH hat im Jahre 2013 hier eine maßgebliche Entscheidung getroffen. Nach Ansicht des EuGH kann eine lang andauernde Krankheit, die zu physischen oder psychischen Einschränkungen des Betroffenen führt, wie eine Behinderung zu behandeln sein (EuGH, Urteil vom 11.04.2013 – C-335/11 und C-337/11). Auch das Bundesarbeitsgericht hat zugunsten eines HIV-Infizierten angenommen, dass seine Erkrankung mit einem Behinderungsgrad von 10 als Behinderung im Sinne des AGG anzusehen sei und seine Kündigung im konkreten Fall folglich unwirksam war (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.12.2013 – 6 AZR 190/12).
Kündigung chronisch kranker Arbeitnehmer weiter möglich:
Dennoch sind Kündigungen von Arbeitnehmern wegen einer chronischen Krankheit nun nicht immer unwirksam. Sofern der Arbeitgeber die erforderlichen Voraussetzungen zur krankheitsbedingten Kündigung einhält, kann er eine solche auch weiter aussprechen. Im Hinblick auf den sachlichen Grund der Kündigung wird jeweils im Einzelfall zu prüfen sein, ob es sich bei der chronischen Erkrankung um eine Behinderung handelt, die den Anwendungsbereich des AGG eröffnet.
30.7.2015
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